Track 1: Mikroebene
Forschungsfrage und -relevanz
Forschendes Lernen ist ein Konzept, das didaktisch relativ viel Offenheit lässt. Die meisten Modelle forschenden Lernens (z.B. Wildt 2009) gehen allerdings davon aus, dass Studierende einen Forschungszyklus (oder Teile davon) durchlaufen sollen. Laut der als grundlegend geltenden Definition von Huber (2009, S. 11) bedeutet forschendes Lernen, dass „die Lernenden den Prozess eines Forschungsvorhabens, das auf die Gewinnung von auch für Dritte interessanten Erkenntnissen gerichtet ist, in seinen wesentlichen Phasen – von der Entwicklung der Fragen und Hypothesen über die Wahl und Ausführung der Methoden bis zur Prüfung und Darstellung der Ergebnisse in selbstständiger Arbeit oder in aktiver Mitarbeit in einem übergreifenden Projekt – (mit)gestalten, erfahren und reflektieren“.
Von Forschung als Prozess auszugehen hat didaktisch viele Vorteile, In diesem Beitrag soll allerdings ein Perspektivwechsel vorgenommen werden, der sich einer anderen Sichtweise als dem linearen, zyklischen Forschungsvorgehen zuwendet. Ich möchte die These verfolgen, dass Forschung im Kontext forschenden Lernens weniger ein feststehendes Konzept, sondern vielmehr Gegenstand von Aushandlungsprozessen ist und den Blick darauf lenken wie Forschung zwischen den an einer Lehrveranstaltung beteiligten Aktuer*innen ausgehandelt wird.
Theoretischer Rahmen
In der Hochschullehre treffen Wissenschaftler*innen und Studierende aufeinander, die erstens einen Lern- und oder Forschungshabitus mitbringen, die zweitens und die drittens eigene Interessen verfolgen.
Wimmer (2005, S. 13) beschreibt Kultur als „Resultat eines Prozesses des Aushandelns von Bedeutung zwischen kulturell geprägten, aber zur reflexiven Hinterfragung und Innovation fähigen Individuen“. Dabei bezieht er mit ein, dass Individuen erstens durch einen Habitus geprägt sind und bestimmte gedankliche Schemata haben, dass sie zweitens in Machverhältnisse und machtvolle Diskurse eingebunden sind und drittens aber auch eigene Interessen verfolgen. Gleiches gilt auch für Wissenschaftler*innen und Studierende, die in der Lehre aufeinander treffen. Die Sichtweise der Kultur als Aushandlungsprozess und schließlich als Kompromiss soll für den Kontext des forschenden Lernens übernommen werden. Sie dient als Rahmen für eine kulturtheoretische Analyse von forschungsorientierten Lehrveranstaltungen.
Methodisches Vorgehen
Analysiert werden Daten aus einer ethnografischen Untersuchung von fünf Lehrveranstaltungen vom Sommersemester 2017 bis zum Sommersemester 2018. Alle Lehrveranstaltungen arbeiteten nach dem Prinzip des forschenden Lernens. In der Studie wurde mit teilnehmender Beobachtung, informellen Gesprächen, teilstrukturierten Interviews sowie Gruppendiskussion gearbeitet. Daraus entstand ein Datenkorpus aus Beobachtungsprotokollen, ethnografischen Memos und Interviewtranskripten, aus dem sich Aushandlungsprozesse mit Hilfe von Grounded Theory Methoden offenlegen lassen.
Erwartete Ergebnisse
Die Daten zeigen, dass Forschung auf verschiedene Art und Weise zwischen den an der Lehrveranstaltung beteiligten Personen ausgehandelt wird. Studierende bringen Vorstellungen (gedankliche Schemata) von Forschung mit in die Lehre. Sie übernehmen tradierte Forschungspraktiken von den Lehrenden, entwickeln aber auch eigenständige Forschungskulturen ohne Beteiligung der Lehrenden. Vier Spannungsfelder scheinen in der Aushandlung besonders relevant:
- Theorie vs. (Forschungs-)Praxis
- Unabhängigkeit vs. Anwendungsorientierung
- Objektivität vs. Partizipation
- Quantitative und qualitative Zugänge
Nach Wimmer (2005) können Aushandlungsprozesse zu kulturellen Kompromissen führen, auf deren Grundlage sich Kulturen von anderen abgrenzen. Die in den Lehrveranstaltungen herausgebildeten Forschungskulturen werde ich in meinem Posterbeitrag genauer beschreiben.
Referenzen
Huber, L. (Hrsg.) (2009). Forschendes Lernen im Studium. Aktuelle Konzepte und Erfahrungen. Bielefeld: Univ.-Verl.
Wildt, J. (2009). Forschendes Lernen: Lernen im „Format“ der Forschung. In TU Dortmund (Hrsg.), Forschendes Lernen. Perspektiven eines Konzepts (Journal Hochschuldidaktik, S. 3–7).
Wimmer, A. (2005). Kultur als Prozess. Zur Dynamik des Aushandelns von Bedeutungen (1. Aufl.). Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss.
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Themenbereiche
- Aushandlung
- Ethnografie
- Forschendes Lernen
- Forschungskultur
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- T1 Posterrunde II B (14∶15 15∶00)
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Ein wirklich spannendes Thema, das zudem sehr strukturiert vorgestellt wurde. Für mich wird nur nicht ganz klar, inwiefern die Studierenden ein ‚objektives‘ Vorgehen im Forschungsprozess fordern, sich dabei aber mit den Kooperationspartner/innen solidarisieren. Die Ergebniskategorien widersprechen sich demnach ein wenig, was aber sicher an der vorgegebenen Kürze der Ausführungen liegt.
Vielen Dank für den Vortrag!