Die Bedeutung von Zielorientierungen für den Studienerfolg in Deutschland und Vietnam. Eine quantitative vergleichende Analyse. Die Internationalisierung von Hochschulen wird seit mehr als zwei Jahrzehnten als eine der wichtigsten Entwicklungen im Hochschulsektor gesehen (Teichler, 2018). Eine Form der Internationalisierung ist die Transnationale Bildung(TNB). Im Rahmen der TNB werden Hochschulen, Studiengänge oder Studienmodule in einem Land(z.B. Vietnam) von einer Hochschule aus einem anderen Land (z.B. Deutschland)akademisch (aber nicht zwingend finanziell) verantwortet (Lanzendorf & Teichler, 2003). Zurzeit werden rund 80 transnationale Bildungsprojekte deutscher Hochschulen im Ausland gefördert und dabei 255 kooperative Studiengänge angeboten (DZHW & DAAD, 2019). Beispiele sind die Vietnamesisch-Deutsche Universität in Ho Chi Minh City (DAAD, 2018) sowie die Außen-stelle der Universität Greifswald und der TU Dresden in Hanoi (HRK, 2018; Krauß, 2006).
Kooperationsprojekte dieser Art sind für deutsche Hochschulen interessant, weil sie beim Aufbau internationaler Beziehungen helfen und das Interesse vietnamesischer Studierender für ein Master- oder PhD-Studium an einer deutschen Hochschule wecken können (Hase-Bergen, 2019). Gleichzeitig sind sie für kooperierende Hochschulen mit Herausforderungen und Hürden verbunden(Hahn, 2004). So sollten Lehrangebote auf die Leistungsfähigkeit und die Ziele von Studierenden im Kooperationsland abgestimmt werden. Nicht selten werden jedoch Lehrangebote konzipiert, die der heimischen Lehre gleichen, vor allem in Bezug auf die qualitativen Anforderungen und die inhaltlichen Schwerpunkte (Altbach, 2010; Knight, 2007). Für die Anpassung von Anforderungen und Schwerpunkten kann eine Analyse der Motivation von Studierenden im Kooperationsland von besonderem Interesse für Hochschulen sein.
Vor allem die an die Leistungsmotivationsforschung anknüpfenden Zielorientierungstheorien bieten eine Möglichkeit zur Identifikation von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Kooperationsländer (Schiefele & Schaffner, 2015). Zielorientierungen werden als dauerhafte individuelle Präferenzen für bestimmte Ar-ten von Zielen im Lern- und Leistungskontext definiert (Elliot, 2005, S. 66). Für die Lern- und Leistungszielorientierung von Nicholls (1984)und Dweck (1986)wurden mehrfach Wirkungen auf Studienleistungen an Hochschulen nachgewiesen (Harackiewicz et al., 2002; Hulleman et al., 2010; Linnenbrink-Garcia et al., 2008; Richardson et al., 2012). Auch weitere Zielorientierungen wie die Arbeitsvermeidungszielorientierung (Archer, 1994), Sozialzielorientierung (Urdan & Maehr, 1995) und die extrinsische Zielorientierung (Maehr & Nicholls, 1980)wurden auf ihre Effekte im Hochschulkontext untersucht. Auf den Zusammenhang zwischen Zielorientierungen und Studienleistungen soll im Vortrag ebenfalls eingegangen werden. Im Rahmen eines vom DAAD geförderten Kooperationsprojekts wurden im Jahr 2017insgesamt14.000Studierende zweier deutscher(Universität Mainz und Potsdam) und zweier vietnamesischer Universitäten (University of Economics Ho Chi Minh City und Can Tho University) zu ihren Zielorientierungen, Studienleistungen und sozialen Hintergründen befragt. Mithilfe von t-Tests und Varianzanalysen wurden die Ausprägungen der Zielorientierungen bei Studierenden in Deutschland und Vietnam verglichen.
Die Zusammenhänge zwischen Zielorientierung und Studienleistungen wurden mithilfe von Nested Regression Modells aufgezeigt. Die Auswertungen zeigen: Studierende an vietnamesischen Universitäten zeigen eine signifikant stärkere Lernzielorientierung und extrinsische Zielorientierung (an beruflichem Erfolg und finanzieller Sicherheit), während deutsche Studierende eine stärkere Leistungszielorientierung (an Wettbewerb und Demonstration von Kompetenz) aufweisen. Erste Ergebnisse zu den Zusammenhängen von Zielorientierungen und Studienleistungen zeigen (entsprechend bisheriger Forschung) den stärksten und signifikanten Zusammenhang zwischen Leistungszielorientierung und der Studiennote für Studierende der deutschen Universitäten und negative Zusammenhänge zwischen der Lernzielorientierung und Studienabbruchneigung sowie positive Zusammenhänge zwischen der Lernzielorientierung und der Studienzufriedenheit für beide Stichproben.
Literatur
- Altbach, P. (2010). Why branch campuses may be unsustainable. International Higher Education, 58. http://ejournals.bc.edu/ojs/index.php/ihe/article/download/8015/7166Archer, J. (1994). Achievement Goals as a Measure of Motivation in University Students. Contemporary Educational Psychology, 19(4), 430–446. https://doi.org/10.1006/ceps.1994.1031
- DAAD. (2018). Vietnamese German University. https://www.daad.de/hochschulen/hochschulprojekte-ausland/gruendung/de/11298-vietnamese-german-university-vgu/
- Dweck, C. S. (1986). Motivational processes affecting learning. American Psychologist, 41(10), 1040–1048. https://doi.org/10.1037/0003-066X.41.10.1040DZHW, & DAAD. (2019). Wissenschaft weltoffen kompakt 2018. http://www.wissenschaftweltof-fen.de/kompakt/wwo2019_kompakt_de.pdf
- Elliot, A. J. (2005). A conceptual history of the achievement goal construct. In A. J. Elliot & C. S. Dweck (Hrsg.), Handbook of competence and motivation(S. 52–72). Guilford Press.
- Hahn, K. (2004). Die Internationalisierung der deutschen Hochschulen: Kontext, Kernprozesse, Fall-studien und Strategien(1. Aufl). VS, Verlag für Sozialwissenschaften.
- Harackiewicz, J. M., Barron, K. E., Tauer, J. M., & Elliot, A. J. (2002). Predicting success in college: A longitudinal study of achievement goals and ability measures as predictors of interest and perfor-mance from freshman year through graduation. Journal of Educational Psychology, 94(3), 562–575. https://doi.org/10.1037/0022-0663.94.3.562
- Hase-Bergen, S. (2019). Internationale Integration –eine strategische Aufgabe. https://www.daad-vietnam.vn/de/2019/04/26/internationale-integration-eine-strategische-aufgabe/HRK. (2018). Auslandsrepräsentanzen deutscher Hochschulen in Vietnam. https://www.hrk.de/the-men/internationales/auslandspraesenz-und-internationale-sichtbarkeit/auslandsrepraesentanzen-deut-scher-hochschulen/vietnam/
- Hulleman, C. S., Schrager, S. M., Bodmann, S. M., & Harackiewicz, J. M. (2010). A meta-analytic review of achievement goal measures: Different labels for the same constructs or different constructs with similar labels? Psychological Bulletin, 136(3), 422–449. https://doi.org/10.1037/a0018947
- Knight, J. (2007). Internationalization: Concepts, Complexities and Challenges. In J. J. F. Forest & P. G. Altbach (Hrsg.), International Handbook of Higher Education(S. 207–227). Springer Netherlands. https://doi.org/10.1007/978-1-4020-4012-2_11
- Krauß, J. (2006). Transnationale Studiengänge deutscher Hochschulen. In Deutsche Hochschulen im Ausland: Organisatorische Gestaltung transnational Bildungsangebote(S. 83–128). DUV. https://doi.org/10.1007/978-3-8350-9293-8_5
- Lanzendorf, U., & Teichler, U. (2003). Globalisierung im Hochschulwesen—Ein Abschied von etablierten Werten der Internationalisierung? Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 6(2), 219–238. https://doi.org/10.1007/s11618-003-0024-3
- Linnenbrink-Garcia, L., Tyson, D. F., & Patall, E. A. (2008). When are Achievement Goal Orientations Beneficial for Academic Achievement? A Closer Look at Main Effects and Moderating Factors. Revue internationale de psychologie sociale, 21(1–2), 19–70. Cairn.info.
- Maehr, M. L., & Nicholls, J. G. (1980). Culture and achievement motivation: A second look. Studies in cross-cultural psychology, 2, 221–267.Nicholls, J. G. (1984). Achievement motivation: Conceptions of ability, subjective experience, task choice, and performance. Psychological review, 91(3), 328.
- Richardson, M., Abraham, C., & Bond, R. (2012). Psychological correlates of university students’aca-demic performance: A systematic review and meta-analysis. Psychological Bulletin, 138(2), 353.
- Schiefele, U., & Schaffner, E. (2015). Motivation. In E. Wild & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psy-chologie(2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage, S. 154–171). Springer. https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-642-41291-2.pdf
- Teichler, U. (2018). Hochschulbildung. In R. Tippelt & B. Schmidt-Hertha (Hrsg.), Handbuch Bil-dungsforschung(S. 505–548). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19981-8_21
- Urdan, T. C., & Maehr, M. L. (1995). Beyond a Two-Goal Theory of Motivation and Achievement: A Case for Social Goals. Review of Educational Research, 65(3), 213–243. https://doi.org/10.3102/00346543065003213
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Vielen Dank für die Präsentation dieser interessanten Studie! Ich habe eine Nachfrage zur Interpretation, bei der ich mir nicht sicher bin: Wenn wir uns nur Lern- und Leistungszielorientierung anschauen, deuten dann die Ergebnisse darauf hin, dass die Studierenden die für das jeweilige Land passende Zielorientierung zeigen? Oder sollte hier die Ergebnisse nicht überbewertet werden, weil die Varianzaufklärung in Vietnam so gering ist?
Methodisch habe ich mich noch gefragt, ob es nicht sinnvoll wäre, auch die inhaltliche Fragestellung mit Strukturgleichungsmodellen zu untersuchen (und nicht nur die Messinvarianz).
Vielen Dank für Ihren Kommentar! ich freue mich, dass Sie mein Projekt interessiert.
Mit Blick auf die Ergebnisse der t-Tests in Abbildung 1 lässt sich für Studierende in Vietnam tatsächlich eine erwartbar niedrigere Ausprägung der wettbewerbsbezogenen Leistungszielorientierung und einer höhere Ausprägung der Lernzielorientierung im Vergleich mit Studierenden in Deutschland feststellen. Begründet werden könnte diese Erwartung mit der eher kollektivistisch orientierten vietnamesischen Gesellschaft (wenig Interesse an Kompetenzvergleichen), die im Rahmen des durch China geprägten konfuzianischen Bildungssystems sehr viel Wert auf die Aneignung von Wissen legt (starke Lernzielorientierung). Diese Hintergründe stelle ich in meiner Arbeit dar. Es gibt hier durchaus viel Literatur, auch von Bildungsforschern aus Vietnam.
Die niedrige Varianzaufklärung betrifft ja die Erklärung der Varianz der Studienerfolgsindikatoren durch die Varianz der Zielorientierungen. Die Varianzaufklärung ist in der vietnamesische Stichprobe für zwei der drei Studienerfolgsindikatoren tatsächlich gering. Dieses für mich überraschende Ergebnis schränkt die Bewertung der dargestellten Effekte der Zielorientierungen von Studierenden in Vietnam auf ihre Studiennote und Studienabbruchneigung (nicht aber Studienzufriedenheit) etwas ein.
Ein Strukturgleichungsmodell könnte hier durchaus sinnvoll sein, wobei erste Tests für mich keine bedeutsamen Abweichungen von den Ergebnissen der Regressionsanalyse zeigen. Dort könnte ich aber durchaus weitere Tests durchführen.
Ich freue mich über weitere Nachfragen und Anmerkungen.